11.05.2020 | Offener Brief an Monika Grütters, Olaf Scholz und Peter Altmaier

In dem Schreiben an die Kulturstaatsministerin und die Bundesminister erinnert der BVDG an das Versprechen im Koalitionsvertrag „Wir setzen uns auch auf europäischer Ebene für die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei gewerblich gehandelten Kunstgegenständen ... ein“ und fordert dessen Umsetzung für alle Kunstmarktakteure in der EU.

O F F E N E R   B R I E F
Berlin, im Mai 2020

Sehr geehrter Herr Bundesminister Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,
sehr geehrte Frau Staatsministerin Prof. Grütters,

zunächst möchten wir Ihnen für den breit gespannten Schutzschirm mit seinen Zuschüssen für kleine Unternehmen danken. Dies war eine sehr gute Hilfe in der Not und viele unserer Mitgliedsgalerien konnten damit die erste Phase des durch die Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Zusammenbruchs überstehen. 

Die singuläre Krise macht die Auswirkungen falscher Entscheidungen, die in der Zeit zuvor getroffen wurden, noch deutlicher sichtbar. Ein solcher Fehler war die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes im gewerblichen Kunsthandel.

Zwar sah das Jahressteuergesetz von 2014 mit der sog. 30%-Pauschalmargenbesteuerung eine Kompensation für deren Verlust vor. Ihr Anwendungsbereich wurde jedoch so sehr eingeschränkt, dass sie bereits obsolet war, bevor sie auf dem Papier stand. Auch das von Steuerberatern mitunter propagierte Agenturmodell ist im Galeriebereich aus diversen Gründen untauglich und wird von Finanzbehörden (z.B. Köln und München) nicht akzeptiert. Die Differenzbesteuerung kann ebenfalls nicht generell angewandt werden und gewährt zudem keinen Vorsteuerabzug.

Seit 2015 gibt es einen Exitus, kaum Neugründungen und kein Wachstum im deutschen Kunstmarkt. Jede Galerieschließung blockiert oder vernichtet die Etablierung der Künstler, die mangels Alternativen keinen Ersatz mehr finden. Aus diesem Grund haben auch die Künstlerverbände jüngst die Wiedereinführung der Steuerermäßigung für den Kunstmarkt gefordert. Denn Künstler wissen, dass sich die für ihre Existenzsicherung grundlegende öffentliche Anerkennung ihrer Arbeit primär durch das komplexe Engagement der Galerien entfaltet.

Die steuerliche Asymmetrie der Umsatzbesteuerung bildet sich auf mehren Ebenen ab:

  1. im Vergleich zu den Urhebern (ermäßigter Steuersatz von 7%),
  2. im Vergleich zur steuerlichen Bewertung anderer Kulturgüter (Bücher, Konzerttickets etc.),
  3. gegenüber den marktstarken und unmittelbaren Wettbewerbsländern Schweiz (7,7%), Österreich (13%), England (5,5%), New York (8,85%).

Die Folgen des coronabedingten Lockdowns in der Gastronomie werden in Kürze durch eine Umsatzsteuerermäßigung abgefedert. Das Tempo, mit der die Ermäßigung in einen Sektor eingeführt wird, in dem diese bis dato weder ein Thema war, noch eine historische Grundlage hat, ist mehr als erstaunlich. Die historische Grundlage im Kunstmarkt bestand hingegen seit Jahrzehnten und zielte auf eine indirekte staatliche Förderung der bildenden Kunst an und für sich. Diese Förderung wurde geopfert.

„Wir setzen uns auch auf europäischer Ebene für die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei gewerblich gehandelten Kunstgegenständen ... ein.“
Seit 2018 hat weder die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, noch der Finanzminister zu dieser, für die Fortexistenz des Kunsthandels zentralen Aussage des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD eine Initiative ergriffen oder einen Willen zum Handeln erkennen lassen.

Im Gegenteil: Sowohl auf europäischer als auch auf inländischer Ebene wurde in den letzten Jahren keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, den deutschen Kunstmarkt durch neue Gesetze, Verordnungen und Richtlinien zu schwächen und im Wettbewerb zu behindern. Warum?

Wie unter einem Brennglas verdichten sich im Kunstmarkt die Vorbehalte, die in Deutschland gegenüber der Wirtschaft und dem Unternehmer gepflegt werden. Der Galerist gilt stets als Gewinner, der Künstler per se als schutzbedürftig. Dieses Klischee hat offenkundig dazu geführt, dass es zu einer massiven Ungleichbehandlung in der Umsatzbesteuerung kommen konnte, die bis heute durch keine tragfähige Kompensation ausgeglichen wurde.

Der durchschnittliche Jahresumsatz von 60% der deutschen Galerien liegt bei 64.000 Euro p.a., nur ein Bruchteil davon erreicht die 200.000 Euro-Schwelle (lt. IFSE Kunstmarktstudie Deutschland 2013). Der Glaube, mit dem kleinsten Teilbereich der deutschen Kreativwirtschaft ein Mehraufkommen an Steuereinnahmen durch die Abschaffung der Ermäßigung zu generieren, war seit Anbeginn eine Fiktion, die sich an spektakulären Umsätzen internationaler Auktionshäuser orientierte – die mit der wirtschaftlichen Realität des deutschen Kunstmarktes jedoch nicht das Geringste zu tun haben.

Galerien entdecken Künstler und investieren alle Ressourcen, um diese im Markt zu positionieren. Sie haben der Amazonisierung ebenso standgehalten wie der Kunsthandel, der wie kein anderer Wirtschaftszweig nachhaltig arbeitet und die Wa(h)re Kunst über Jahrhunderte immer wieder in den Kreislauf bringt. Allein dafür gebührt den Kunstmarktakteuren gesellschaftspolitische Anerkennung. Stattdessen hat Deutschland zugelassen, dass es 2006 zu der fatalen EU-Mehrwertsteuerrichtlinie gekommen ist, die die traditionelle Steuerermäßigung im Kunstmarkt zur Disposition gestellt und einige Jahre später zu Fall gebracht hatte.

Am 1. Mai 2020 versprach Kulturstaatsministerin Prof. Grütters im Rahmen einer gemeinsamen Erklärung der 26 EU-KulturministerInnen eine „kräftige Unterstützung für Kultur und Medien“. Der Kunstmarkt gehört dazu und darf nicht weiterhin systematisch aus dem Aufmerksamkeitsradius der Finanz-, Wirtschafts- und Kulturpolitik ausgeblendet werden.

Ziel muss sein, den ermäßigten Umsatzsteuersatz in allen EU-Staaten für alle Kunstmarktakteure einzuführen. Dies wäre die entscheidende Maßnahme zur Stärkung des deutschen und des europäischen Kunstmarktes im Wettbewerb gegenüber den internationalen Auktionshäusern sowie gegenüber den USA und China. Letztere führen den Weltmarkt mit 42% bzw. 28% an; Deutschland ist hier mit lediglich einem Prozent (1%!) vertreten (Arts Economics für 2019).

Ab Juli 2020 geht der Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft an Deutschland und bietet Ihnen vermehrt Möglichkeiten zur Gestaltung. Die Zeit ist reif für eine Korrektur. Wir hoffen, dass die Bundesregierung der jüngsten Aussage des Bundespräsidenten, dass „Kunst und Kultur in einem sehr buchstäblichen Sinne Lebensmittel sind“, durch entsprechende steuerliche Lenkungsmaßnahmen folgen wird und somit zur Stabilisierung des Kunstmarktes beiträgt.

Wie alle anderen Wirtschaftszweige benötigt der Kunstmarkt zudem ein Corona-Konjunkturprogramm zur Abmilderung der schweren Verluste durch den Lockdown und die Grenzschließungen, durch die Absage der Messen und Ausstellungen sowie durch den Absturz der Kaufkraft. Dazu erlauben wir uns, Ihnen in Kürze einige Vorschläge für entsprechende Weichenstellungen zukommen zu lassen.

Mit den besten Grüßen

gez. Kristian Jarmuschek, Karin Schulze-Frieling, Thole Rotermund, Birgit Maria Sturm

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